Satirische Texte und Lieder von und mit Wolfgang Reuter
- Ein deutsches Wintermärchen -
Als sich Schneewittchen endlich erstaunt aus ihrem gläsernen Sarg erhob, wurde sie von den begeistert applaudierenden Zwergen umstanden. Sie jubelten dem auferstandenen Mädchen zu und kreischten vor Begeisterung. „Hört alle her!“ sprach da das gerührte Mägdelein. „Da ich nun wieder am Leben bin, will ich auch heiraten!“ Was ging da für ein Wispern und Flüstern durch die Reihen der sieben Zwerge. Denn jeder meinte, er sei der Auserwählte. „Wer die Wahl hat, hat die Qual!“ sinnierte Schneewittchen. Da trat der erste Zwerg namens Hassdiewahl vor sie hin und hob an: „Liebste Magedin! Du magst schön und begehrenswert sein; aber ich stehe nicht aufs Wählen, und auf Mädchen schon gar nicht. Schade, dass du kein Kerl bist!“ Und er lief enttäuscht, aber zeternd von dannen. Der zweite Zwerg namens „Ali, der Naive“ trat näher und meinte: „Wie bist du doch so herrlich deutsch, mein Kind! Dich will ich ganz für mich allein haben!“ Das kam dem Schneewittchen doch recht sadomasochistisch vor. Schon näherte sich der dritte, ziemlich gelbhäutige Zwerg namens Fritz Dietmar Paul und sprach: „Ich kann die Hochzeit nicht bezahlen, weil ich Solidaritäts-Zuschlag entrichten muss.“ Na ja – so eine arme Sau wollte das Schneewittchen nun auch wieder nicht heiraten. Aber schon trat Grünkohl, der vierte Zwerg, vor sie hin und sprach: „Ich lade alle meine ausländischen Verwandten zur Hochzeit ein, das sind sehr viele – aber wir feiern im Dunkeln, ohne Kohleheizung oder Petroleum.“ Da fröstelte Schneewittchen spürbar. Fix meldete sich Zwerg Rotkehlchen und forderte: “Aber keine Böllerschüsse bei der Hochzeit! Ich kann Kanonen nicht leiden!“ Da musste das Mädchen an die gelbe, die rote und die grüne Gefahr denken und wurde sehr ängstlich. „Was soll das Gejammere?“ meldete sich als Sechster der Riesen-Zwerg Bergschrat zu Wort. „Ich will eine Hochzeit mit Besäufnis bis zur Obergrenze!“ Das war Schneewittchen dann doch zu vulgär. Aber schon trat der siebte Zwerg namens Rosarötlich hervor und erklärte: „Ich bin krank, habe die Schwindsucht und kann deshalb nicht heiraten.“ Da war guter Rat teuer. Wem sollte das arme Schneewittchen denn nun das Ja-Wort geben? Sie reiste für ein paar Monate nach Jamaika – aber auch dort wusste man keinen Rat. So kam es denn, dass sie die Schnauze voll hatte und greinend zum Bundes-Fränki eilte. „Mich will keiner heiraten!“ beschwerte sie sich. „Ach ja“, erwiderte dieser, „so ein Zwerg ist halt oft recht feige. Und wenn nicht bald ein Wunder geschieht, dann hilft dir auch die Verkleidung als Schneewittchen nichts, liebe Angie!“ Wolfgang Reuter, 22. 11. 2017 |
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